Moldau: Wie hilft man traumatisierten Kindern?

Ukrainische Kinder, die nach ihrer Flucht in Moldau ankommen, sind in der Regel traumatisiert. Sie haben unvorstellbares Leid erlebt und brauchen dringend Hilfe. CONCORDIA Sozialprojekte kümmert sich seit 18 Jahren um benachteiligte Kinde rund Jugendliche im Land. Seit Februar 2022 hat sie ihre Einrichtungen auch für ukrainische Kinder geöffnet. Damit unsere MitarbeiterInnen professioneller auf die Traumata reagieren können, werden sie durch die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen wie der Kindernothilfe oder Der Möwe von ExpertInnen aus Österreich geschult. Die Journalistin Katharina Nickoleit hat mit ihnen gesprochen.

„Wir wollten schon lange mehr darüber erfahren, welche Bedürfnisse traumatisierte Kinder haben und wie wir richtig mit ihnen umgehen“, meint Pavel Nani, der Leiter des CONCORDIA-Zentrums in Nisporeni. „Durch die vielen geflüchteten Kinder aus der Ukraine mit ihren ganz speziellen Problemen ist das noch einmal dringender geworden.“ Als zu Beginn des Krieges besonders viele Familien hierherkamen, versorgten Pavel Nani und seine KollegInnen bis zu 80 zusätzliche Personen. Das brachte das Team an den Rand seiner Kapazitäten. „Vor lauter Arbeit waren wir nicht immer sicher, ob wir ausreichend auf die speziellen Bedürfnisse der geflüchteten Kinder eingehen konnten“, erinnert sich Sozialarbeiterin Aliona Florea. „Außerdem wissen wir noch viel zu wenig über Traumata an sich.“ Damit sich das ändert, werden derzeit alle Mitarbeitenden der CONCORDIA-Zentren Moldaus in Online- und Präsensworkshops geschult. Unter der Anleitung von erfahrenen TrainerInnen lernen sie, mit von Traumata betroffenen Kindern so umzugehen, dass diese ihre Erlebnisse besser verarbeiten können.

Pavel Nani Leiter des CONCORDIA Zentrums in Nisporeni
„Wir erhoffen uns von den Workshops zu lernen, wie wir unsere Arbeit noch besser machen können und wie wir richtig reagieren, wenn wir sehen, dass ein Kind von seinem Trauma überwältigt wird.“

Interview mit den beiden TrainerInnen in Nisporeni

Die Psychologin Lisa Dangl und der Psychotherapeut Michael Gaudriot kommen aus dem österreichischen Kinderschutzzentrum „die möwe“, das sich seit 30 Jahren um von Gewalt betroffene Kinder und deren Bezugssysteme kümmert. Im Rahmen der möwe-Akademie geben die beiden überall in Österreich und darüber hinaus Workshops, die Gewalt in Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen vorbeugen und dabei helfen sollen, mit Traumata richtig umzugehen.  

Frau Dangl und Herr Gaudrio, was ist eigentlich ein Trauma?

Michael Gaudriot (MG): Ein Trauma entsteht, wenn ein Mensch mit einem so bedrohlichen Ereignis konfrontiert ist, dass er Schutzmechanismen entwickeln muss, um es auszuhalten. Die ständige innere Anspannung, die dadurch im Nervensystem verbleibt, kann sich durch eine Art Betäubtheit oder durch sehr ängstliches oder aggressives Verhalten zeigen. In jedem Fall sind Traumabetroffene in ihrer Fähigkeit, zu vertrauen, sich selbst zu beruhigen oder zu trösten, beeinträchtigt.

Lisa Dangl (LD): So ein Trauma schlummert oft unter der Oberfläche und kann durch bestimmte Reize, etwa ein Geräusch oder eine bestimmte Situation, geweckt werden.

Haben alle Kinder, die aus der Ukraine vor dem Krieg fliehen müssen, ein Trauma?

MG: Ja, wir können davon ausgehen. Sie haben etwas erlebt, was für uns als Außenstehende schwer vorstellbar ist und was ihr Leben und ihre Wahrnehmung von sich selbst und der Welt auf einer neurologischen Ebene verändert hat.

LD: Das Schwierige an der Flucht ist die Entwurzelung. Man verliert alles, was man ein Leben lang aufgebaut hat. Gleichzeitig stehen die Mütter massiv unter Druck, weil sie in der Fremde das Leben neu organisieren und selber die Flucht verarbeiten müssen. Sie können dann für die Kinder nicht so da sein, wie sie wollen. Dazu kommt, dass der Vater fehlt.

Wie wirkt sich das aus?

MG: Das kommt ganz darauf an, welche Geschichte das Kind mitbringt. Wird ein traumatisches Erlebnis von einem Kind erfahren, das ein gutes Fundament an Grundvertrauen hat, dann kann es in der Regel auch eine schlimme Erfahrung besser bewältigen.

LD: Bei einem Kind, das schon viele schwierige Situationen hinter sich hat, dem dieses Grundvertrauen fehlt, kann sich dasselbe Erlebnis viel schwerwiegender auswirken, weil das Vertrauen erneut erschüttert wird. Eine unserer Aufgabe ist deshalb, den Blick der Mitarbeitenden dafür zu schärfen, welche Kinder die Erlebnisse gut verarbeiten und welche mehr Unterstützung brauchen.

Was lernen die Mitarbeitenden in den Workshops?

MG: Wir sprechen darüber, was typische Traumareaktionen sind, welches Verhalten auffällig ist und uns besonders aufmerksam machen sollte. Und auch darüber, was in einem Menschen passiert, wenn er etwas erlebt, was er nicht verarbeiten kann, was ihn in seinen Grundfesten erschüttert. Aber wir machen aus den Mitarbeitenden keine Psychologen, die Traumata analysieren und behandeln. Darum geht es auch nicht, sondern darum, einem von Traumata betroffenen Kind eine stabile und berechenbare Umgebung zu bieten, in der es sich entspannen und das Geschehene verarbeiten kann.

LD: Im Grund machen wir eine Prävention von Traumafolgestörungen. Das Ziel ist, dass die Mitarbeitenden verstehen, wie wichtig es ist, einen sicheren Ort mit verlässlichen Beziehungen zu schaffen, an dem sich die Verkrampfung des Traumas entspannen kann und sich nicht weiter verfestigt.

Wie wichtig ist es für Menschen, die mit traumatisierten Kindern zu tun haben, das alles zu wissen?

LD: Ganz wichtig ist: Der betreuenden Person muss klar klein, dass Dinge, die sie tut oder sagt, ein Trigger sein können, der eine Retraumatisierung auslöst. Sie muss das merken und bestimmte Dinge dann im Zweifel vermeiden.

MG: Wichtig ist auch, dass man als betreuende Person besonders verlässlich ist. Das bedeutet zum Beispiel auch, dass man – auch wenn es gut gemeint ist – keine Versprechungen und Beziehungsangebote macht, die man nicht halten kann.

Was brauchen traumatisierte Kinder?

LD: Die Kinder brauchen die Gewissheit, dass sie zu den Mitarbeitenden kommen und sich anvertrauen können. Das erfordert eine besondere Sensibilität der Erwachsenen. Sie sollten frühzeitig bemerken, wenn ein Kind von seinen Erlebnissen eingeholt wird und besondere Aufmerksamkeit braucht.

MG: Achtsamkeit ist das A und O bei traumasensiblem Vorgehen. Die Mitarbeitenden sollten dem Kind signalisieren, dass es sich an sie wenden kann, wenn es sich öffnen will. Und dann müssen sie in der Lage sein, zuzuhören und das Gesagte auszuhalten. Wenn es uns gelingt, das zu vermitteln, können die Teilnehmenden nach diesem Workshop noch besser auf die Bedürfnisse von traumatisierten Kindern eingehen.

 

Text: Katharina Nickolait; Fotos: Christian Nusch

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