Kinderarbeit im Kosovo

Interview mit CONCORDIA Kosovo Länderdirektorin Mirela Lavric

12. Juni ist Internationaler Tag gegen Kinderarbeit

Seit 2002 wird jedes Jahr am 12. Juni darauf aufmerksam gemacht, dass Kinderarbeit nach wie aktuell ist, Kinder dadurch ausgebeutet und um ihre Rechte gebracht werden. Auch in den Ländern, in denen CONCORDIA aktiv ist, sind unsere MitarbeiterInnen mit Lebensrealitäten konfrontiert, in denen Kinder einen wesentlichen Beitrag für das Familieneinkommen beitragen. Statt zur Schule zu gehen um zu lernen, sich zu entfalten, und später bessere Perspektiven zu haben, sammeln sie Müll, Eisen oder betteln.

CONCORDIA Länderdirektorin Mirela Lavric erläutert die Hintergründe im Kosovo und im Speziellen in Bezug auf die Gemeinde Prizren, in der CONCORDIA aktiv ist. CONCORDIA schafft hier Bewusstsein für den Wert der Bildung und unterstützt Familien dabei, andere Wege für ihre Kinder zu sehen und zu wählen.

Was ist der Hauptgrund für Kinderarbeit im Kosovo?

Die Armut ist sicherlich der Hauptgrund für Kinderarbeit im Kosovo. Wenn Eltern die Grundbedürfnisse ihrer Familie nicht decken können, schicken sie ihre Kinder zur Arbeit, um das Haushaltseinkommen aufzubessern. Die Armut ist jedoch auch mit anderen Faktoren verknüpft, wie dem niedrigen Bildungsniveau, der Arbeitslosigkeit und dem Gesundheitszustand der Eltern, häuslicher Gewalt, fehlender Unterstützung durch öffentliche Zuschüsse und der Gewohnheit der Familien, alle Familienmitglieder in Saisonarbeit zu beschäftigen. Manchmal suchen die Kinder selbst nach Möglichkeiten, Geld zu verdienen, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen, z. B. um Kleidung, Handys usw. zu kaufen. Kinder werden von den Firmeninhabern missbraucht, die nicht auf ihr Alter Rücksicht nehmen, wenn sie sie zu verschiedenen Arbeiten heranziehen. 

Im Kosovo fehlt es an einem Bewusstsein der Gesellschaft für Kinderarbeit.

Mirela Lavric
Mirela Lavric CONCORDIA Kosovo Länderdirektorin
"Die Armut ist sicherlich der Hauptgrund für Kinderarbeit im Kosovo. Wenn Familien es sich nicht leisten können, die Grundbedürfnisse zu decken, schicken sie ihre Kinder zur Arbeit, um das Haushaltseinkommen aufzubessern."

Zu welcher Art von Arbeit werden die Kinder gezwungen?

Die meisten Kinder sind in der Landwirtschaft tätig. Diejenigen, die in städtischen Gebieten leben, arbeiten in der Regel in Autowaschanlagen, Lagerhäusern, auf dem Bau, beim Müllsammeln oder in der Metallverarbeitung. Einige Familien schicken ihre Kinder zum Betteln auf die Straße - manche von ihnen spielen Trommeln, um Geld zu sammeln.

Für welche Tätigkeiten werden Kinder hauptsächlich eingestellt?

Kinder zwischen fünfzehn und achtzehn Jahren können legal für leichte Arbeiten beschäftigt werden, die keine Gefahr für ihre Gesundheit oder Entwicklung darstellen und wenn eine solche Arbeit nicht durch ein Gesetz verboten ist. Die meisten Kinder werden jedoch nicht legal angestellt, sondern arbeiten auf dem Schwarzmarkt für das Be- und Entladen von Waren, das Sammeln von Metallen, wie oben erwähnt.

Gehen diese Kinder zur Schule?

Besonders bei Roma, Aschkali und ägyptischen Gemeinschaften ist der Anteil der SchulabbrecherInnen hoch. Die Abschlussquote von Kindern aus Roma-, Aschkali und ägyptischen Gemeinschaften liegt bei 85 % in der Grundschule, 59 % in der Sekundarstufe I und 24 % der Kinder schließen die Sekundarstufe II ab (UNICEF, 2021). Kinderarbeit ist dabei ein Faktor der Schulabbrüche fördert. Zudem beeinträchtigen schlechte wirtschaftliche Bedingungen, frühe Verheiratung, Diskriminierung und das niedrige Bildungsniveau der Eltern den Schulbesuch.

Wie viele Kinder gibt es im Bezirk Prizren und im Kosovo, gibt es dazu Zahlen?

31 % der Bevölkerung des Kosovo ist zwischen 0 und 18 Jahren alt. Mit einem Durchschnittsalter von 29,5 Jahren hat das Kosovo die jüngste Bevölkerung in Europa.

Die Gesamtbevölkerung der Gemeinde Prizren beträgt 177.781 Bürger, davon 67.145 in der Altersgruppe 0 bis 19 Jahre (Volkszählung 2011). Es gibt keine Daten über die Anzahl der Kinder, die in der Gemeinde Prizren von Kinderarbeit betroffen sind.

Laut der IAO-Studie beläuft sich eine grobe Schätzung der Anzahl der Kinder, die jährlich in Kinderarbeit verwickelt sind, auf etwa 4.321 Kinder, von denen etwa 580 in den Zentren für Sozialarbeit und etwa 3.741 in Nichtregierungsorganisationen bekannt sind. Diese Kinder sind zwischen fünf und 17 Jahre alt.

Das Problem der Kinderarbeit im Kosovo steht in direktem Zusammenhang mit fehlenden politischen Mechanismen, Diskriminierung, Marginalisierung und Kinderhandel.

Die wirtschaftliche und soziale Lage der Familien ist einer der Hauptfaktoren für dieses Problem, denn ein weiterer Einflussfaktor für Kinderarbeit ist auch die Erziehung und der Lebensstil dieser Familien. Die Eltern reproduzieren dieselben Situationen, in denen sie von ihren Eltern zur Arbeit gezwungen wurden. In diesen Familien wird keine Möglichkeit gesehen, aus der Armut in den Wohlstand zu gelangen, sie versuchen hauptsächlich über den Tag zu kommen. Auf Regierungsebene wurden mehrere Kooperationsvereinbarungen mit der ILO getroffen, um bei der Lösung dieses Problems zu helfen.

Was wurde auf politischer Ebene zu diesem Thema unternommen?

Seit 2004 hat das Ministerium für Arbeit und Soziales (MLWS) sein Engagement für das Problem der Kinderarbeit durch die folgenden Maßnahmen unter Beweis gestellt:

  • Unterzeichnung der Absichtserklärung zur Umsetzung des Internationalen Programms der IAO zur Beseitigung der Kinderarbeit (IPEC) durch den Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs und den Minister für Arbeit und soziale Wohlfahrt im Jahr 2005;
  • Einrichtung der Abteilung für Kinderarbeit im Ministerium für Bildung und Kultur im März 2005;
  • Einrichtung des Kosovo-Ausschusses für die Vermeidung und Beseitigung von Kinderarbeit
  • (KKPEPF) mit dem Beschluss des Premierministers des Kosovo Nr. 5 / 166 vom 13. Dezember 2005;
  • Bereitstellung institutioneller Unterstützung und Gewährleistung der aktiven Beteiligung öffentlicher Einrichtungen sowohl auf zentraler als auch auf lokaler Ebene bei der Erprobung verschiedener Maßnahmen zur Bekämpfung von Kinderarbeit, die von der IAO-IPEC im Zeitraum 2004-2009 unterstützt werden;
  • Einleitung des Prozesses zur Einrichtung eines Überwachungssystems für Kinderarbeit gemäß Artikel 5 des IAO-Übereinkommens Nr. 182, das als Grundlage für die Formalisierung von Standardarbeitsverfahren dienen soll:
    • Identifizierung, Rücknahme, Unterstützung und Schutz von Kindern, die von den schwersten Formen der Kinderarbeit betroffen sind,
    • Dokumentation der Entwicklung der Kinderarbeit in bestimmten Wirtschaftszweigen
    • Bewertung der Effizienz bestehender Maßnahmen auf zentraler und lokaler Ebene, einschließlich Empfehlungen und Leitlinien für konkrete Maßnahmen und die Entwicklung von Strategien.
  • Ausarbeitung des Aktionsplans zur Vermeidung und Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (2011-2013), um zeitgebundene Ziele zu definieren und das Engagement der öffentlichen Behörden in Bezug auf die Zuständigkeiten und die Aufteilung der Haushaltsmittel für die Umsetzung des Plans klar zu belegen.
  • Kinderschutzgesetz

Wie sieht es in der Praxis aus?

Einige dieser Richtlinien, Gesetze, Verwaltungsanweisungen und Memoranden haben erste Ergebnisse bei der Identifizierung von Kinderarbeit erbracht.

In der Praxis ist es jedoch schwierig Fälle von Kidnerarbeit zu behandel. Diese Kinder haben spezifische Bedürfnisse, und die Maßnahmen werden auf der Grundlage der individuellen Bedürfnisse der Kinder zugeschnitten. Darüber hinaus gibt es im Kosovo keine Regelung für die Art und Dauer der Maßnahmen, die bei Kinderarbeit ergriffen werden. Zudem fehlt es an finanzellen Mitteln für Einrichtungen und einer Professionalisierung von SozialarbeiterInnen. Laut der IAO-Studie ergeben sich geschätzte monatliche Kosten von 433 Euro für die Bereitstellung von Sozialdiensten für Fälle von Kinderarbeit. In diesen Kosten ist die Unterbringung von Opfern allerdings nicht enthalten, da es noch keine Kinderschutzhäuser gibt und eine eingehendere Untersuchung erforderlich ist, um deren Kosten vollständig zu bewerten.

Wie arbeitet CONCORDIA mit den betroffenen Kindern und ihren Familien?

Wir haben unter unseren ProgrammteilnehmerInnen Kinder, die schon in jungen Jahren gearbeitet haben, und leider gibt es immer noch einige Fälle, in denen die Eltern ihre Kinder zur Arbeit oder zum Betteln auf die Straße schicken, trotz unserer Bemühungen. Meistens geschieht dies im Sommer, wenn in der Landwirtschaft gearbeitet wird, aber am häufigsten arbeiten die Kinder in Autowaschanlagen oder betteln auf der Straße, da zu dieser Jahreszeit viele Touristen oder Verwandte die Stadt besuchen. Sobald wir solche Situationen feststellen, besucht unser Team zunächst die Familie und dann gegebenenfalls den "Arbeitgeber", um sie einerseits über die negativen Folgen für die Gesundheit des Kindes und andererseits über das gesetzliche Verbot der Kinderarbeit zu informieren. Für die Familien ist es manchmal schwierig zu verstehen oder zu akzeptieren, dass sie ihre Kinder nicht zum Arbeiten oder Betteln schicken sollten, da dies für sie Normalität und die einzige Einkommensquelle ist.

Es ist uns gelungen, die Kinder zumindest in unser Zentrum zu bringen und ihnen erzieherische Unterstützung zu geben, sie in der Schule anzumelden, ihnen eine warme Mahlzeit pro Tag, Beratungsgespräche, Freizeitaktivitäten, Schulmaterial, Musikunterricht usw. anzubieten; aber auch bei diesen Kindern kommt es vor, dass sie nachmittags arbeiten oder betteln gehen. 

Außerdem haben wir die Möglichkeit, die Fälle dem Zentrum für Sozialarbeit zu melden, aber aufgrund fehlender Ressourcen wendet sich das Zentrum an unsere Organisation und bittet um Unterstützung, um unsere Arbeit mit diesen Familien fortzusetzen.

Newsletter Spenden